Pathognostische Beratung

Die praktische, psychotherapeutische Wendung der Pathognostik

Die pathognostische Behandlung – insbesondere in klinischer Rücksicht – ist ausgerichtet auf das Symptom. Sie basiert auf der Erkenntnis, dass das Symptom des Subjekts objektiven Außenweltverhältnissen korrespondiert. Das erkrankte Subjekt findet sich genötigt, das nachzustellen und nachzuleben, was objektiv als und in den Dingen, Techniken, Institutionen als Unbewusstes gewahrt sein soll. Die Behandlung zielt ab auf die Erarbeitung einer Möglichkeit zur kritischen Wiederveräußerung solcher problematischen Verinnerung von Außenweltverhältnissen, also auf die Rückbindung des Unbewussten an die Objektivität, von der her es verinnert wurde.

Für irrig hält Pathognostik die Ansicht, bei den Bezügen auf die objektive Außenwelt handle es sich lediglich um projektive Zugaben subjektiv pathologischer Befindlichkeiten, um symbolische Auffassungen der neutralen Dinge, von denen die Objektiva restlos wieder zu befreien seien. Ebenfalls für irrig hält Pathognostik die These, Krankheit und Symptome seien kausalistisch auf die Psychogenese, die lebensgeschichtliche Krankheitsätiologie zurückzuführen und vornehmlich auf diesem Weg zu behandeln und zu beheben.

Pathognostik strebt es therapeutisch an, das Symptom in den Arbeitszusammenhang zu überführen, dem es entspricht, so dass der Objektivität das wieder zugeführt werden kann, was ihr subjektiv zu entnehmen versucht wurde. Doch solche Wiederzuführung des subjektiv Angemaßten darf keineswegs auf eine pseudologische Bereinigung der Objektivität, nicht auf die Abschaffung des in der Krankheit aufgekommenen Erkenntnisanstoßes ausgerichtet sein, sondern sie muss vielmehr eine kritische Vorbehaltlichkeit wahren. 

Zu beachten bleibt diesbezüglich durchweg, dass das Symptom einen kritischen Einspruch wider den Gebrauchs- und Arbeitszusammenhang erhob, in den es rücküberführt werden soll. Das bedeutet für die pathognostische Behandlung eines Subjekts, dass diese erst dann als beendet gelten kann, wenn ein Weg gefunden ist, nicht nur den Gebrauchs- und Arbeitszusammenhang für das Subjekt wiederherzustellen, sondern Arbeit und Gebrauch auch produktiv von kritischem Einspruch – womöglich einer „Travestie des Gebrauchs“ – begleitet werden können. Ohne die Aufrechterhaltung der Kritik sind weitere Symptombildungen zu erwarten.

Das pathognostische therapeutische Verfahren besteht in der Arbeit an der Erkenntnis der Homogenität von Symptom und dinglicher Objektivität. Ausgerichtet ist es dabei auf den Aufschluss des dem Symptom inhärenten objektiv-dinglichen Unbewussten, darauf also, das Unbewusste der korrespondierenden dinglichen Objektivität gemeinsam mit dem Patienten zu erschließen. In diesem Prozess gilt es einsichtig werden zu lassen, dass dieses Unbewusste nicht aufzulösen ist, nicht verschwinden gemacht werden kann. Theoretische und praktische Ansätze, die solches – quasi betrügerisch – doch versuchen, die nachdrückliche Behauptung gar, Unbewusstes ließe sich restlos in Bewusstsein aufheben, führen unweigerlich zu weiteren verschobenen Symptombildungen und werden von der Pathognostik deshalb hinsichtlich ihres Symptomcharakters thematisiert.

Die pathognostische Behandlung ist gemeinsame Erkenntnisarbeit im Ausgang vom Symptom und den diesem innewohnenden Entsprechungen zu den dinglichen Objektivitäten der Außenwelt. Das Symptom fasst diese Erkenntnis bereits in sich. Der Krankheit allerdings geht es nicht um Erkenntnis und ebenso wenig geht es dem erkrankten und Symptome ausbildenden Subjekt um solche, noch ist die im Symptom geborgene Erkenntnis dem Kranken verfügbar. Vielmehr bildet sich das Symptom daraus, diese potenzielle Erkenntnis des Unbewussten der Objektivität zu verschließen, deren bewusste Veröffentlichung zu tabuisieren und mit eben den einschlägigen Symptomausprägungen zu sanktionieren.

Vom pathognostisch Behandelnden sind deshalb die das Symptom bestimmenden negativen Affekte – wie Ärger, Ekel, Angst, Verzweiflung, Hilflosigkeit, Scham, Wut, Neid, Eifersucht et cetera – nachzuvollziehen und mitzuempfinden; das betrifft ebenso die mit diesen Affekten verbundenen Abwehrformen. Gefordert ist, solche empathische Selbstbeteiligung in diesem Mit- und Nachvollzug dauerhaft aufrecht zu erhalten und solchen Bezug als konstante Gegenübertragung zu wahren. Allein auf dieser Grundlage des Nachvollziehens ermöglicht sich die Offenhaltung des Unbewussten des vom Symptom betroffenen Objektivitätsausschnitts.

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Zusatzausbildungen Pathognostik; Zusatzausbildungen Pathognostik für psychotherapeutische und Beratungs-Berufe, in: Philosophie und Psychoanalyse; Psychoanalyse und Philosophie, Jahrbuch 2021, Peras Düsseldorf 2021, σελ. 416ff