Pathognostische Kriterien von Krankheit

Pathognostische Kriterien von Krankheit

„Nach Rudolf Heinz*) orientiert sich das pathognostische Krankheitskonzept – stets ausgehend von der Gebrauchssperre – an vier Wesensmerkmalen von Krankheit:

I. Erkenntnisanstoß (Trauma): Der in Krankheit abgesperrte Gebrauch, die Krankheit definierende Störung, fungiert als Anstoß einer ‚ungewöhnlichen‘ Erkenntnis oder, anders formuliert: als Aufhebung der im Dienst des normalen Funktionierens eingeübten Verkennung. (Krankheit als eine Art Verletztheit.)

II. Opposition (negatives Phantasma): Als Gebrauchssperre opponiert das Symptom gegen die ‚gewöhnliche‘ Verkennung des Normalgebrauchs. (Krankheit als projektiv gewaltrepräsentierende Anklage.)

III. Opfer (negatives Trauma): Der Normalgebrauch wird geopfert. An Stelle des Erkenntnisanstoßes tritt eine Vermeidungsstrategie, die jedoch den Anstoß bereits voraussetzt. Entsprechend wird die Verkennung der gewalthaften Normalität zwar oppositionell aufgehoben, jedoch, indem sie ineins mit der Besetzung der Erkenntnis, dem neuerlichen traumatischen Anstoß, vermieden wird. (Krankheit als Selbstkonstitution.)

IV. Zerstörungsaneignung (positiv negatives Phantasma): Es wird durch Opposition und Opfer nicht der weiterhin abgesperrte Normalgebrauch rückangeeignet, wohl aber dessen ‚Erkenntnisanstößigkeit‘. Krankmachend angeeignet wird die – allererst krankmachende – zerstörerische Gewalt der Referenzobjekte dieser ungewöhnlichen Erkenntnis. (Krankheit als Selbstverletzung, Gewalt gegen sich, als nur in solcher Negativität gelingende Selbstbemächtigung.)“

*) Vgl. Rudolf Heinz, Was ist Patho-Gnostik? In: KAUM. Halbjahresschrift für Pathognostik, Band 1, hg. von Rudolf Heinz, Wetzlar: Büchse der Pandora 1984, S. 10 – 17. Sowie:

Rudolf Heinz, Ausführung und Verbesserung der pathognostischen Krankheitskriterien: Erkenntnisanstoß, Opposition, Opfer, Zerstörungsaneignung. In: KAUM. Halbjahresschrift für Pathognostik, Band 2, hg. von Rudolf Heinz, Wetzlar: Büchse der Pandora 1986, S. 27 – 31.

Der Topos der „ungewöhnlichen Erkenntnis“ berücksichtigt die gesellschaftliche Bedingtheit der Definition von Krankheit. Was in bestimmten Gesellschaften als krank gilt, kann in anderen als gesund gelten. Entsprechend kann, was in der einen Gesellschaft als deren pathologisierte Aufklärung tabuiert wird, in der anderen mangels Tabuierung auch nicht als ungewöhnliche (Selbst-)Erkenntnis dieser Gesellschaft (dys-)fungieren. Wiederum in pathognostischer Manier bleiben diese Differenzen im Rahmen der Globalisierung, die diese kulturellen Differenzen gleichzeitig ‚aufzuheben‘ (emporzuheben, zu negieren, zu bewahren, kurz: zu produzieren) trachtet, weiterhin zu bedenken.